Das Geheimnis der Linien entschlüsseln - um nichts weniger geht es im Gemeinschaftsprojekt Whispering Lines mit Autorin und Lyrikerin Stephanie Freienstein. Die Bezeichnung der Linien als Lines ist bewusst gewählt, weil die Bedeutungsebenen des englischen Wortes noch umfassender, noch subtiler sind: Linie, Zeile, Strich, aber auch Grenze, Richtung, Verbindung, Grundsatz; über dreißig Bedeutungen verzeichnet das Wörterbuch. Hinter jeder Linie verbirgt sich eine eigene Welt, die, hört man nur genau hin, auch leise flüsternd ihre eigene Geschichte erzählt.
Sowohl für die Dichterin als auch für mich ist die Linie zunächst einmal der Grundstoff unserer Arbeit: Aus Linien werden Wörter gemacht, Wörter, die zu Texten werden, zu Gedichten und Geschichten und die sich so mit Bedeutung füllen. Die Kalligrafie erhebt indessen den ästhetischen Aspekt der Linie zu ihrer Kunstform.
Entstanden sind dabei verschiedene Werkgruppen, die allesamt der von einer reinen Zweckgebundenheit emanzipierten Linie Rechnung tragen. Die Linie ist nicht mehr allein Medium für Inhalt und Grundstoff für die Form, sondern wird zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei sprengt sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren Rahmen.
Die Geschichten, die dabei erzählt werden, sind leise und eindringlich, knüpfen da an, wo die Linie beginnt, Gedanken zu modellieren, als Wort, als Text, als Bild, als Objekt. Die Linie wird so zum Werkzeug und Material vielfältiger Schöpfungsakte, deren inhaltlicher Mittelpunkt sie selbst ist.